
Transzendenz in der Traumaintegration: Überlebensstrategie oder Ressource?
Spirituelle Konzepte entpuppen sich in der Traumatherapie oft als illusionäre Konstrukte, als Überlebensstrategien, die darauf abzielen, den Schmerz des Psychotraumas und die Hilflosigkeit der traumatischen Situation zu verdrängen. Diese Strategien können in der Konfrontation mit den Traumainhalten hinderlich sein, wenn sie als Fluchtmechanismen fungieren, die das direkte Erleben und Verarbeiten der schmerzhaften Erlebnisse verhindern.
Nun stellt sich die Frage, ob jedes transzendente Weltbild deshalb als falsch zu betrachten ist. Was passiert, wenn Menschen in die Therapie kommen, die an die Existenz der menschlichen Seele glauben und im Glauben an eine höhere Macht Halt finden? Es macht einen Unterschied, ob eine transzendente Perspektive eingenommen wird oder nicht.
Gollmers Erfahrung zeigt, dass Transzendenz nicht per se illusionär ist. Es bedarf einer genauen Untersuchung und klarer Definitionen, um sich diesem Thema zu nähern. Transzendente Konzepte können als Ressourcen dienen, wenn sie authentisch in den therapeutischen Prozess integriert werden. Sie können helfen, eine tiefere Akzeptanz und Integration des Traumas zu fördern, indem sie größere Bedeutungszusammenhänge schaffen und das Gefühl der Isolation und Verlorenheit lindern.
Spirituelle Ausrichtung und transzendente Erfahrungen können somit sowohl zur Heilung als auch zur Dissoziation beitragen. Welche Faktoren sind dabei förderlich und welche schädlich? Was ist das entscheidende Unterscheidungskriterium? Letztlich hängt die Rolle der Transzendenz in der Traumaintegration davon ab, wie sie in der Therapie eingesetzt wird: als manipulatives Fluchtangebot oder als authentische Brücke zu einer heilenden Transformation hin zu sich selbst.
Michael Paul Gollmer ist ein vielseitiger Therapeut und Facilitator, der Menschen durch herausfordernde Zeiten begleitet und sie dabei unterstützt, beruflich oder privat neue Weichen zu stellen. In der Trauerbegleitung entdeckte er früh das Thema Transzendenz. Als Diplom-Designer bringt er eine kreative Grundhaltung mit, die sich in der Praxis bewährt hat. Seit 2016 führt er seine eigene Praxis in Berlin-Pankow, wo er psychotraumatologische, systemische und körperpsychotherapeutische Methoden mit Ressourcenarbeit verbindet. Er ist Mitglied der International Society of Pre- and Perinatal Psychology and Medicine (ISPPM), spezialisiert auf frühkindliches Trauma und erfahren in der Identitätsorientierten Psychotraumatherapie (IoPT). Sein eigener Weg der Traumaintegration wurde zu einer starken Ressource, insbesondere für Patienten mit frühem Bindungs- und Brutkastentrauma.